18
Jan
2009

Illusion

Was für eine Illusion anzunehmen, es wäre möglich, seine Liebe zwischen zwei Männern gleichermaßen aufzuteilen!
Im Spannungsverhältnis zwischen Aufmerksamkeit und Tiefe führt der häufige szenische Schnitt zwischen den verschiedenen gemeinsamen Sphären sukzessive zur Zersetzung der solchen und schließlich zum Verlust der Tiefe.
Eine derart nervöse Liebe reicht bestenfalls für eine Beerenpflückerin, die die fruchtbaren Gefilde verlässt, sobald sie die kleinen Pflänzchen und Büsche abgeerntet hat. Ein Bergwerk ließe sich damit niemals betreiben.

Die Beerenpflückerin

Ich kenne einen Bauern, der lebte auf einem einsamen Hof am Fuße der schneebedeckten Berge, umringt von einem dunklen, dicht duftenden Wald. Sein Blick war nicht immer klar, denn er konnte nur sehen, soweit sein Herz schlug, aber das genügte ihm.
Zu diesem Bauern verirrte sich im Frühjahr eine Beerenpflückerin. Sie war wunderschön, hatte rote Wangen und einen Blick, der bis zu den Bergen reichte. Als der Bauer sie sah, musterte er sie skeptisch und erkannte sie sofort als Beerenpflückerin. Er fragte sie: „Was willst Du hier bei mir?“ Sie antwortete: „Du hast wunderschöne, duftende rote Beeren am Waldrand rund um Deinen Hof. Ich pflücke gerne rote, duftende Beeren, ich bin Beerenpflückerin, und Deine Beeren duften besonders schön. Ich will sie für dich pflegen und sie ernten, wenn sie reif sind.“
Der Bauer willigte ein und nahm die schöne Beerenpflückerin in sein Haus auf. „Du musst aber wissen“, sagte sie zu ihm, „sobald die kleinen Pflänzchen und Büsche abgeerntet sind, werde ich Dich wieder verlassen. Ich will nicht, dass Du dann traurig bist.“ Der Bauer willigte wiederum ein, denn er kannte seine Pflänzchen genau und wusste, dass sie reichlich Früchte tragen, und eine Beerenpflückerin alleine schier nicht in der Lage sein wird, alle Pflänzchen abzuernten, bevor die Beeren wieder nachgewachsen sind. Und so kam es auch. Die Beerenpflückerin pflückte und pflückte, hegte und pflegte, rupfte und zupfte, und die Beeren wuchsen und gediehen unter ihren Händen. Der Bauer war mit der Ernte höchst zufrieden und freute sich obendrein über die unterhaltsame Gesellschaft der Beerenpflückerin.
Doch eines Tages, als die schneebedeckten Berge besonders kühl und klar am Horizont zu sehen waren, kam die Beerenpflückerin zum Bauern und beklagte sich bitterlich: „Deine Beeren wachsen ja wie Unkraut, ich pflücke und pflücke schon seit Monaten und es scheint mir, als wachsen immer mehr Früchte nach. Es wird einfach nicht weniger, so habe ich mir das nicht vorgestellt. Ich werde Dich bald schon verlassen, damit Du’s weißt. Ich kann Deine Beeren nicht mehr sehen, sie erdrücken mich mit ihrem süßen Duft und ihrer feuerroten Farbe.“ Der Bauer schwieg gekränkt, denn er wusste nicht, was er sagen sollte. Er liebte den Duft seiner Beeren sehr, aber er liebte auch seine schöne Beerenpflückerin. Als er mit ansehen musste wie die Beerenpflückerin begann, die schönsten Pflänzchen auszurupfen, ja manche sogar voll Zorn niederzutreten, brach ihm das Herz und er jagte sie voll Gram vom Hof.
Die Beerenpflückerin wurde seitdem nicht mehr gesehen. Nur die Beeren wachsen noch heute dort am Waldesrand, feuerrot und duftend.
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Die Lust an der Ästhetik des Störrischen

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